Zu Gast in Südafrika

Reyneke

“Philosopher surfing the terroir”

Legendär ist Johans Liebe zum Surfen. Johan lässt schon Mal, wenn der Wetterbericht perfektes Surfwetter ankündigt, auf einer wichtigen Weinmesse alles liegen und stehen, um seiner Passion nachzugehen. Für die Vertriebler von Vinimark, der Agentur, die sich um die Vermarktung seiner Weine kümmert, scheint das ein „Running Gag“ zu sein. Wahrscheinlich ist es richtiger zu sagen, dass er nicht surfen geht, sondern dass er Surfer ist, quasi als Seinszustand. Ähnlich ist er auch mit Leib und Seele Winzer bzw. „Farmer“, wie er sich selbst auf Englisch bezeichnet.

Dabei war ihm der Weg in den Weinbau einerseits in die Wiege gelegt worden, schließlich ist er auf dem Mischbetrieb seiner Eltern in Stellenbosch aufgewachsen. Die Uitzicht Farm („Farm mit Aussicht“) war auch der Ausgangspunkt für das heutige Weingut Reyneke Wines. Andererseits hat Johan an der für ihren Önologie-Studiengang bekannten Universität in Stellenbosch nicht Weinbau, sondern Philosophie studiert. Da es nichts aus dem klassischen Studentennebenjob in der Gastronomie wurde, verdiente er sich sein „Pocket Money“ für das Studium als „Field hand“ in den Weinbergen. Als einziger Weißer unter ausschließlich schwarzen Weinbergsarbeitern war er schon etwas Besonderes, gerade im Südafrika Anfang der 1990er Jahre, in der Zeit also, in der sich das Land von der Apartheid zu lösen begann. Johan hat dann seinen Master in „Enviromental Ethics“ gemacht, ist aber weinbautechnisch immer ein Seiteneinsteiger geblieben. Vielleicht ist deshalb seine Neugierde und Offenheit für Neues immer noch riesig, auch als inzwischen anerkannter Winzer. Bei unserem Besuch zitiert er in kürzester Zeit eine unglaubliche große Menge an internationalen Fachleuten, Wissenschaftlern, Mentoren und Bücher, die ihn inspiriert haben oder gerade inspirieren. So versuchen Johan und sein Team seit einigen Jahren den Einsatz von Kupfer und Schwefel, den im Bioanbau üblichen Pflanzenschutzmitteln, zu verringern und durch alternative Produkte wie Trichoderma bzw. den Ausscheidungen dieses Schlauchpilzes zu ersetzen.​​​​​​​

Der Anteil an verwittertem Granit, der typischen Gesteinsformation in Stellenbosch, nimmt im Boden zu, je weiter man mit den Weinbergen in die Höhe geht. Bei Reyneke verfolgt man diesen Ansatz ganz bewusst: um den Terroir-Ausdruck in den Weinen noch weiter zu pronunzieren, aber vor allem auch um mit „Cool Climate“ den Herausforderungen der Klimaveränderung besser begegnen zu können. Im Sinne eines Ansatzes von „Integrity for the Soil“ wird im Weinkeller so wenig wie möglich eingegriffen, keine „Gymnastics in the cellar“ also: Johans Weine sind „echte“ Terroirweine der Neuen Welt.

“Waste not, want not”​​​​​​​

Die Farm von Reyneke Wines ist ein biodynamischer Vorzeigebetrieb und auch das erste Demeter-zertifizierte Weingut des Landes. Ein echter Mischbetrieb mit Gemüsegärten und Kühen. Letztere sind nicht nur für den selbsthergestellten Kompost wichtig, sondern als Teil eines lebendigen Ganzen („Naming our cows instead of numbering them“). Begrünung, Leguminosen-Aussaat, Humusaufbau, Ansiedlung von Nützlingen, Enten als natürliche Fressfeinde von Schnecken (mit eigener „Duck Nanny“), biodynamische Präparate, „Water Farming“, Arbeit nach Mondphasen und natürlichen Zyklen etc.: bei Reyneke bedient man sich aus der gesamten Bandbreite des Instrumentenkastens des biologischen und biodynamischen Weinbaus.

Dabei ist es Johan nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen wichtig, dass in Kreisläufen alles innerhalb des Weinguts wiederverwendet wird. Die Farm soll sich selbst tragen können, „self-sustainable“ sein. Dabei spielt der Aufbau von Humus eine entscheidende Rolle, nicht nur um die Lebendigkeit des Bodens und die Biodiversität zu erhalten, sondern auch um den CO2-Fußabdruck zu minimieren. Das Ziel dabei ist letztlich CO2 -negativ zu werden, also weniger Treibhausgase zu emittieren als man durch Humusaufbau und die Herstellung der eigenen Bio-Holzkohle binden kann. Den Impact, den die Landwirtschaft auf die Treibhausemmissionen hat, sollte man nicht unterschätzen. Es geht aber auch darum, so unabhängig wie möglich zu werden: wer seinen eigenen Kompost, Dünger und biodynamischen Präparate herstellt, ist eben deutlich weniger abhängig von Markteffekten wie Gaspreissprüngen, die einen erheblichen Einfluss auf den Einkaufspreis von konventionellem Stickstoffdünger haben können. ​​​​​​​

Auch wenn es etwas paradox klingen mag: es hat etwas sehr Bodenständiges, wenn ein biodynamischer Winzer nicht nur über Mondphasen und Präparaten redet, sondern auch von Cashflows und nachhaltigen Finanzen. Aber vielleicht ist Johan in dieser Hinsicht ein Stückweit auch ein gebranntes Kind, schließlich haben nur besonders glückliche Umstände seinen Betrieb vor der Pleite gerettet. Dass sein Wein auf einem südafrikanischen Journalisten-Event ausgeschenkt wurde, auf dem auch noch Nelson Mandela der Stargast war, kam eher durch eine zufällige Begegnung mit einer CNN-Reporterin zustande. Dieses Event sorgte aber dafür, dass vor allem die „Cornerstone“-Weine schnell ausverkauft waren und die sich abzeichnende Insolvenz des noch jungen Weinguts gerade so noch abgewendet werden konnte.

“There can be no greatness without goodness”

Dieser Satz steht inzwischen auf vielen Flaschen von Reyneke. In dem oben erwähnten Video über seine Begegnung mit Nelson Mandela, erzählt Johan auch vom Ursprung des „Cornerstone Project“. Als Johan als Hilfsarbeiter in den Weinbergen im August, dem kältesten Monat des Jahres in Südafrika, bitter fror, zog er einfach seinen gut isolierten Surf-Anzug unter der Arbeitskleidung an. Als ihm auffiel, dass seine schwarzen Kollegen sich nur mit Zeitungspapier helfen konnten, war ihm klar, dass hier etwas fundamental falsch läuft. Später, während er begann, seinen eigenen Betrieb aufzubauen, fragte er seine angestellten Farmarbeiter, was ihnen besonders wichtig für ihr Leben sei. „Eigener Wohnraum und eine gute Ausbildung für unsere Kinder“ war die eindeutige Antwort. Und genau das wird mit Teilen der Erlöse der Cornerstone-Weine finanziert. Cornerstone bedeutet so viel wie „Eckpfeiler“: ein weingutseigenes Fairtrade-Projekt jenseits jeglicher bürokratischen Hürden und Zertifizierungen.

„What a lovely day“

Wenn englische Muttersprachler sich ausführlich über das aktuelle Wetter austauschen, kann der Smalltalk schon etwas oberflächlich sein und das ist ja auch ganz normal. Wenn Johan Reyneke aus seinem Auto steigt und jedem seiner Gäste bei der Begrüßung mehrfach zu verstehen gibt, dass es für ihn wirklich ein wunderschöner und besonderer Tag ist, kann das auf manche im ersten Moment etwas „verstrahlt“ wirken: „Surfer und Biodynamiker eben“. Aber wohlmöglich liegt dem etwas anderes zu Grunde: vielleicht hat da jemand ziemlich viel verstanden, nicht nur vom Weinbau, sondern auch vom gelungenen Leben.​​​​​​​